Dom in Verden

Interview mit Axel Hartig, dem Inhaber des Musikhauses Hartig in Verden über die Installation der neuen Kirchenbeschallung im Verdener Dom.

Die Kreisstadt Verden an der Aller liegt in der Nachbarschaft von Bremen und hat sich wegen ihrer historischen Bausubstanz, dem hier intensiv gepflegten Pferdesport und ganz allgemein durch ihre schöne Lage am Fluss einen ganz eigenen Platz in der regionalen Touristik erobert.

Zu der Bausubstanz gehört auch der Dom, der mitten in der Innenstadt die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das aus zwei Gründen: Erstens ist er wirklich groß und zweitens sieht er sehr ungewöhnlich aus. Das mit dem ungewöhnlichen Aussehen hat historische Wurzeln. Er sollte eine „ganz normale Kathedrale“ werden, aber mindestens zwei Bauunterbrechungen wegen Geldmangels und ein Brand haben ihn so gestaltet, wie er jetzt ist. Ein Außenfoto habe ich nicht, aber man braucht nur „Verden Aller“ zu googeln, dann sieht man ihn und wundert sich. Dieses Gebäude hat etwas sehr wuchtiges, vielleicht sogar Grobes an sich und wirkt erst einmal nicht besonders schön. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist die Innenseite. Eine ganz andere Welt! Hier finden Sie eine bunte, ja, verspielte Gotik voller Eleganz und mit tausend Details. Das ist etwas zum „Mit den Augen Spazierengehen“.

Die Bilder zeigen natürlich mehr die neue Beschallungstechnik, aber es ist genug von der Kirche zu sehen, dass man einen Eindruck bekommen kann. Ich habe mit Herrn Axel Hartig, dem Inhaber des Musikhauses Hartig in Verden, ein Interview gemacht und er erzählt uns von der Installation im Verdener Dom.

Gab es bei dem Dom in Verden besondere Anforderungen an das Beschallungssystem?

Beim Verdener Dom handelt es sich um eine recht große gotische Hallenkirche mit einem extrem langen Nachhall von über sechs Sekunden. Die Beschallung in der Kirche hat eine vor über 40 Jahren installierte 100V Anlage gewährleistet, die einen Sound dem Stand der damaligen Technik entsprechend geboten hat. Die Vorgabe war nun, die Technik zu modernisieren und die Tonübertragung zu verbessern. Als besondere Herausforderung galt hierbei trotz des extremen Nachhalls eine gute Sprachverständlichkeit ermöglichen zu können. Darüber hinaus sollte die neue Anlage auch die Übertragung von Musik bzw. musikalischen Darbietungen gewährleisten.

Gab es Vergleiche zwischen Systemen?

Die Gemeinde hat zwei Angebote eingeholt, dabei wurde jeweils vom Hersteller der 100 Volt Anlage ebenso wie von uns eine Demoanlage zur Verfügung gestellt. Somit konnte die Gemeinde beide Anlagen im Einsatz testen und bewerten. Außerdem konnten wir bei einem Eins zu Eins Vergleich mittels akustischer Messungen nachweisen, dass das von uns angebotene Dynacord-System eine bessere Sprachverständlichkeit (STIWert) liefern kann – was man aber auch während des Vergleich sehr gut selber hören konnte.

Mit welchem Konzept konnten Sie dieses Ergebnis erzielen?

Die Herausforderung lag darin, die Boxenanzahl und deren Position zu bestimmen. Wenn man viele kleine Boxen an möglichst vielen Orten einsetzen kann, braucht man jeweils nur wenig akustische Energie in die Kirche einbringen und vermeidet somit eine übermäßige Hallanregung des Gebäudes. Auf der anderen Seite ist die Anzahl der Lautsprecher durch die finanziellen Rahmenbedingungen und natürlich auch aus optischen Gründen hinsichtlich des Denkmalschutzes begrenzt. Hier haben wir u.a. auch durch Tests und akustischen Messungen einen optimalen Kompromiss gefunden, der alle Anforderungen erfüllt.

Gab es Beschränkungen bzw. Vorgaben hinsichtlich der Optik der Anlage?

Dom Verden Beschallung
Zum Einsatz kommen weiße Dynacord Vertical Array Lautsprecher.

Eigentümer des Gebäudes ist die Klosterkammer Hannover. Mit deren Architekten haben wir im Vorfeld alle baulichen Veränderungen wie z.B. Verlegung der Kabel, Montage und Aussehen der Boxen besprochen und von Iihnen abnehmen lassen. Dabei erfüllt das Dynacord Vertical Array System der TS-Serie neben den fantastischen Klangeigenschaften alle Vorgaben und passt sich optimal in das Erscheinungsbild des Kircheninneren an.

Wie schaut denn die Zonenaufteilung bei dem System aus? Welche Lautsprecher haben Sie hier genutzt?

Wir haben den Dom in mehrere Bereiche aufgeteilt, so dass die Anlage in der Praxis an verschiedene Anwendungssituationen angepasst werden kann. Die Zonen, die alle einzeln ansteuerbar sind, haben wir in die Bereiche Chor, Mittelschiff, zwei Quer- und zwei Seitenschiffe sowie drei Emporen gegliedert.

Wir haben weiße Dynacord Vertical Array Lautsprecher in verschiedenen Größen verbaut – von TS 100 bis TS 400. Im Chor, Mittel- und den Querschiffen kommt an jeder Säule eine TS 200 zum Einsatz. Im Bereich der Vierung zwischen Chor und den anderen Schiffen ist ein recht großer Raumbereich zu überbrücken, weswegen wir hier die größeren TS 400 verwendet haben. In den Seitenschiffen und am Ende des Mittelschiffs haben wir die kleineren TS 100 verbaut. Auf den Emporen verwenden wir EVID Boxen von Electro-Voice.

Jeder einzelner Lautsprecher wird über die P64 Matrix mit einem eigenen, ausgemessenen Delay angesteuert. Dadurch erreichen wir einen sehr homogenen Sound in der Kirche, es entstehen keine Übergänge zwischen den Boxenpositionen. Der Ton scheint nur aus einer einzelnen Quelle zu kommen.

Welche Verstärker kommen zum Einsatz?

AH: Als Verstärker nutzen wir sieben PA2450L von Electro-Voice und eine DSA 8240 von Dynacord. Mit der Dynacord DASA 8240 verwenden wir eine Endstufe, die genügend Leistung für die größeren TS 400 Boxen in der Vierung zur Verfügung stellt. Für die übrigen TS 200, TS 100 und EVID-Systeme eignen sich die Electro-Voice Endstufen optimal.

Zur Überwachung benutzen Sie einen P64 Controller und IRIS-Net Software?

Ganz genau. Zum Einsatz kommt ein Dynacord P64 Digital Audio Matrix Manager mit jeweils zwei Input- und zwei Output Karten – also mit jeweils 16 Ein- und Ausgängen und einer DSPKarte. Die Matrix übernimmt alle Steueraufgaben und alle Einstellungen wie z.B. Kompressoren, Automixer, Equalizer, Delays für alle Lautsprecher und auch für alle angeschlossenen Mikrofone.

Bedient wird die Matrix über die IRISNet Software mittels einer individuellen, von uns gestalteten Benutzeroberfläche! Dafür haben wir für die Gemeinde einen Tablet-Computer programmiert, der über WLAN mit der Anlage verbunden ist und wie eine luxuriöse Fernbedienung überall im Dom verwendet werden kann.

Durch grafische Elemente wie z.B. die Zonensteuerung über eine Grundriss-Darstellung des Doms und entsprechenden Schalt-Buttons ist die Bedienung für den Anwender sehr intuitiv und kinderleicht. Welche Veränderungen er vornehmen kann, haben wir vorher definiert:

So können Lautstärken der Mikrofone und Lautsprecher verändert werden, Zonen geschaltet werden, aber auch an den zusätzlichen Eingängen der Stagebox weitere Mikros oder Instrumente mit allen Mixing-Funktionen wie EQ, Kompressor und Gates gesteuert werden. User-Presets können auch gespeichert und wieder abgerufen werden. Die von uns vorgenommen Grundeinstellungen der Anlage bleiben davon unberührt und erhalten.

Waren bestimmte Komponenten bei der Umsetzung des Beschallungskonzeptes besonders wichtig?

Ja, eigentlich zwei. Einmal sind das die Vertical Array Lautsprecher – vor allem die TS 200. Mit einer halb so großen Bestückung wie bei der TS400 bietet sie dennoch eine große Lautstärke und einen fantastischen Sound. Das zweite Produkt, das ich hervorheben möchte, ist die P 64 Matrix. Die Möglichkeiten, die sich damit bieten, sind einfach genial, das macht richtig Spaß. Wenn man die IRIS-Net-Benutzeroberfläche selbst programmiert, entdeckt man erst, dass so Vieles möglich und steuerbar ist. Man kann die Anwendung für den Kunden perfekt „nach Maß“ anfertigen!

Gibt es hier besonders erwähnenswerte Features?

Ja, es sind gerade die Kleinigkeiten, wie z.B. die analogen Steuerausgänge der Matrix. So mussten unsere Techniker eine Einschaltverzögerung bauen, um den Einschaltstrom der vielen Endstufen gering halten zu können. Damit aber die gesamte Anlage mit nur einem Schalter – unserem sogenannten „Küsterschalter“ – in Betrieb genommen werden kann, brauchten wir ein 10V Schaltsignal von der Matrix, welches diese aber auch liefern kann – das ist Klasse!

Soweit das Interview, da brauche ich eigentlich nichts weiter hinzuzufügen, aber eine Sache hat mich doch sehr interessiert.

Die historische Raumakustik wurde nach Möglichkeit nicht verändert.Die historische Raumakustik wurde nach Möglichkeit hier nicht verändert. Dazu ist mir durch den Kopf gegangen, dass man erstens an der Nachhallzeit eh nicht viel machen kann und zweitens, dass die alten, mittelalterlichen Baumeister manchmal eine sehr gute Intuition bezüglich der Akustik hatten. Eine Statistik, wie viele Kirchen in diese Gruppe gehören, habe ich nicht, aber es gibt Kirchen, in denen man trotz typischer Nachhallzeit die Predigt gut versteht. (Und es gibt das genaue Gegenteil.) Ich glaube, dass es verdienstvoll ist, den akustischen Spürsinn dieser alten Baumeister gehörig zu respektieren.

Axel Hartig hat sich speziell mit diesem Thema beschäftigt und bot mir freundlicherweise noch eine kurze Vertiefung dieses Inhalts an., den ich Ihnen nicht vorenthalten will:

„Die zur damaligen Zeit revolutionäre Architektur der Gotik zielte auf einen himmelstrebenden Baukörper ab, wodurch gegenüber den romanischen Kirchen ein riesiger Raumeindruck möglich wurde und mittels großer Fenster viel Licht in das Gebäude geleitet werden konnte.

Inwieweit die damaligen Baumeister diese Architektur akustisch optimieren konnten, bleibt fraglich. Zumal gotische Bauwerke oftmals über Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte durch wechselnde Baumeister erbaut wurden. Ein akustisches Resultat der raumgreifenden Architektur und des daraus entstehen langen Nachhalls ist jedenfalls meist eine gute Übertragung von Musik im Gegensatz zur Sprachverständlichkeit.

Die Musik stand sowieso mehr im Vordergrund –- das gesprochene Wort hatte zur damaligen Zeit eine eher untergeordnete Rolle (die Gottesdienste wurden auf Latein gehalten und waren somit für die Bevölkerung ohnehin nicht verständlich). Erst seit der Reformation, lange Zeit nach der gotischen Phase, rückt das gesprochene Wort und die Predigt in den Vordergrund.

Wir stehen also in der heutigen Zeit vor der Aufgabe, die meist schöne Raumakustik für den musikalischen Bereich mit den Anforderungen einer guten Sprachverständlichkeit für den „modernen“ Sprecher über eine Beschallungsanlage zu kombinieren. Möglichkeiten, den Nachhall entsprechend zu bearbeiten, bestehen durchaus… Aber alles gar nicht so einfach …“